Sonntag, 31. Oktober 2010

"Gegen das Vergessen unbesungener Helden"

Wie man die ganze Welt rettet

Prof. Erika Rosenberg,  eine deutschsprachige Autorin aus Argentinien, ist als Dolmetscherin, Übersetzerin, Historikerin und Journalistin tätig. Im Zentrum Ihres Schaffens  steht eine Frau, deren  Biografie sie geschrieben hat und mit der sie  eine tiefe und aufrichtige Freundschaft  verband – Emilie Schindler, die Ehefrau Oskar Schindlers. Durch Vermittlung der Stadtverwaltung Gotha und der Konrad-Adenauer-Stiftung Erfurt sprach sie im Oktober 2010 vor Gothaer Gymnasiasten. 
Eine kleine, zierlich wirkende und modisch gekleidete Frau betrat in Begleitung ihres Mannes die Aula der Arnoldischule Gotha. Zufällig war dies der Tag, an dem sich Emilie Schindlers Tod zum neunten Mal jährte. Ebenso zufällig geschah auch ihre Begegnung mit Emilie im Jahre 1990. Nachdem ihre Eltern unmittelbar zuvor gestorben waren, befasste sich Erika Rosenberg erstmals wieder mit ihrer Vergangenheit und den Fragen, die seit ihrer Jugend unbeantwortet geblieben waren. Ihre jüdischen Eltern, eine Hamburger Ärztin und ein Jurist in Berlin, flohen nach  Paraguay, um dem Nationalsozialismus zu entkommen. Da dort aber ein Überleben nicht möglich war, bauten sie sich im 1600 km entfernten Argentinien eine Existenz auf und blieben in Buenos Aires, wo Tochter Erika geboren wurde. Nur 60 km von Buenos Aires entfernt lebte Emilie Schindler, zurückgezogen und vergessen von Deutschland und der ganzen Welt. Daran änderte auch der Erfolg des Hollywood – Films „Schindlers Liste“ später zunächst nichts. Nachdem sich Erika und Emilie kennen lernten, entstand bereits nach wenigen Monaten die Idee einer Biografie.
Geboren  wurde Emilie Pelzl 1907 in Alt Moletein in Mähren. Sie heiratete den ein Jahr jüngeren Oskar Schindler 1928. Emilie unterstützte ihren Mann, der übrigens auch für den NS-Geheimdienst gearbeitet hatte, und stärkte ihm vor allem als Inhaber der „Deutschen Emaillewarenfabrik“ von 1939 bis 1945 den Rücken. Die Firma befand sich erst in Krakau, musste dann aber 1944 nach Brünnlitz in Tschechien evakuiert werden. Die Bedeutung dieser Fabrik für die Rettung jüdischer Arbeiter ist ja hinlänglich bekannt. Die wohl am meisten anzuerkennende Rettungstat Emilie Schindlers ereignete sich im Januar 1945, wenige Monate vor Kriegsende. Während der Abwesenheit ihres Mannes nahm sie sich des Schicksals von etwa 100  Juden an und bewahrte sie vor dem Vernichtungslager, indem sie die Todgeweihten als Arbeitskräfte der Firma ihres Mannes deklarierte. Schon lange hatten diese Menschen zuvor in engen Eisenbahnwaggons ohne Verpflegung auf Transporten ausharren müssen, bereits 12 von ihnen waren in dieser Zeit erfroren. Emilie verpflegte und versorgte sie, kümmerte sich um die Kranken und Verletzten. Erika Rosenberg bezeichnet Emilie als „eine mutige, couragierte und heldenhafte Frau, die zusammen mit ihrem Ehemann ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat in einer trostlosen Zeit.”
Als Oskar und Emilie Schindler 1949, vier Jahre nach Kriegsende, nach Argentinien auswanderten, wurden sie von der jüdischen Organisation Joint unterstützt. Nachdem dort seine Pelztierfarm gescheitert war und auch eine Fischotterzucht erfolglos blieb, reiste Oskar Schindler 1957 nach Deutschland, um eine Entschädigung in Empfang zu nehmen. Er blieb in seiner alten Heimat und ließ seine Frau hoch verschuldet in Argentinien zurück. Irgendwann verebbte auch der Briefwechsel zwischen ihnen. Oskar Schindler starb 1974, Emilie 2001.
Zum Glück gibt es Menschen wie Erika Rosenberg, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, aus zufällig entstandenen Begegnungen viel Kraft schöpfen und sich dann noch die Pflicht auferlegen, ihr eigenes Wissen mit Anderen, mit Fremden zu teilen. Solche Menschen verdienen ein hohes Maß an Achtung, Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Nicht allein Erika Rosenbergs Ausstrahlung oder Ihre innige Beziehung zu Emilie  Schindler, über die sie sprach, machten ihre Vorlesung einzigartig und einmalig, sondern auch Ihr Einsatz, Ihre Mühe und Ihre Bereitschaft, all das an die nachfolgende Generation, zu der auch ich gehöre, weiterzugeben, damit zurückliegendes Vergessen nicht zukünftig noch einmal passiert. Denn jeder, so auch ich, kann sich ein Beispiel nehmen an Menschen wie Emilie und Oskar Schindler, die aus der Masse herausstechen und scheinbar Unmögliches leisten.
Zu hoffen ist, dass auch Emilie Schindler die Anerkennung erhält, die ihr gebührt, dass sie weiterhin in das Bewusstsein der Menschen gerückt wird und dort auch präsent bleibt. „Denn wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.“     Jennifer Kurka / Fotos:  Hans Stengel
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